Alemannisch
Es sind bloss gut 5 Kilometer von mir daheim (in der Schweiz) bis an die Bar des “Wilden Mann” am Marktplatz in Lörrach. Ich habe heute weniger als eine Stunde zu Fuss bis hierher gebraucht. Offiziell ist das für mich Ausland, Deutschland. Und die Kinder auf dem Spielplatz gleich über der Grenze in Lörrach/Stetten, an denen ich vorbei gewanderte bin, reden hochdeutsch miteinander. Hier an der Bar im “Wilden Mann”, wo schon unser Hanspeter Hebel seinerzeit häufig eingekehrt ist, tönt es aber vertraut alemannisch. Naja, zumindest fast:
Ein jüngerer Mann, vielleicht 35, an einem der Stehtische neben der Bar, redet den Dialekt, den die jüngeren Leute sprechen, die überhaupt noch Dialekt reden wollen. Diesen Dialekt bezeichne ich manchmal etwas mäklerisch als Hochdeutsch mit alemannischen Akzent.
Der junge Mann sagt zum Beispiel “Des hab i gnomme” und nicht “Das han i gnoh”. Er gebraucht nicht-alemannische Wörter wie “Eimer”, sattt “Chessel” und braucht das Imperfekt: “Geschtern war i in der Stadt.” Bei Hebel oder auch im Schweizer Alemannisch gibt es nur eine Vergangenheitsform, das Perfekt. Richtig alemannisch muss es heissen: “Geschter bini in dr Stadt gsi.”
Richtig? Richtig gibt es nicht. Ich gehöre auch zu denen, welche die Sprache, welche sie gelernt haben, als die einzig richtige erachten. Fälschlicherweise. Natürlich unterscheidet sich dieses Neu-Alemannisch stark von dem, wie Hanspeter Hebel im 19. Jahrhundert gesprochen (und sogar geschrieben) hat. Aber Sprache entwickelt sich immer weiter und das, was wir vielleicht als ursprünglich und damit richtiger ansehen, ist ebenso das Resultat einer noch keineswegs alten Entwicklung.
Dass sich in Zeiten der Massenmedien und der massiven Zuwanderung von “Fremden” aus dem nicht-alemannischen Sprachraum auch in Lörrach die Sprache in jüngster Zeit stark verändert hat, ist logisch. Der alemannische Dialekt wird an den Schulen in Süddeutschland nicht gepflegt oder gar gefördert, die elektronischen Medien bemühen sich um ein gutes, nordisch gefärbtes Hochdeutsch und für viele Jugendliche ist der Diaklekt etwas Rückständiges, Bäuerisches. Der Dialekt ist für junge Leute hier kein Identitätsmerkmal.
Zwei Herren meinen Alters stellen sich neben mich an die Bar. Sie sagen “Soli” zum Beizer und reden ein viel weniger hochdeutsch verwässertes Alemannisch. Besonders auffällig für mich: Ihre Sprechweise ist so, wie sie für mich für das Alemannische typisch/richtig ist. Während der neu-alemannisch sprechende jüngere Mann am Nebentisch praktisch vor jedem Wort und mit Sicherheit vor jedem Vokal kurz absetzt wie ein Nachrichtensprecher, verbinden die älteren Männer die Laute, lassen sie ineinander fliessen. Sie sagen z.B.: “Sag dimmalte Kolle/geGruess.”, wobei sie im Zweifel das “G” von Kolleg vom Koll trennen und es direkt an das “Gruess” binden, eben “… Kolle / geGruess. Der Junge würde sagen: “Sag dim / alte / Kolleg / e / Gruess.”, wobei er die Vokale von “alt und “e Gruess”” nach einem kurzen Absetzen mit einem deutlichen Gaumenknackgeräusch aussprechen würde.
Er sagt “Dafür gibts kai Verboot” und nicht “Für das … ” oder “Dodrfür gits kai Vrbott”. Verbot spricht er mit einem deutlich ausgesprochen “E”, verschluckt aber das “R” und er macht das “O” lang, eben “Ve’bood” und nicht “Vrbott”, wie’s eigentlich “richtig” hoch-alemannisch” wäre. Die deutliche Aussprache des “R”, wie es in weiten Teilen der Schweiz gesprochen wird, war lange auch ein deutliches Unterscheidungsmerkmal des Markgräfler-Alemannisch von den übrigen alemannischen Dialekten. Doch jetzt sagen auch die Lörracher “Dia” oder “mia” wie ein Schwabe oder ein Bayer und nicht mehr “Dir”.
Nachtrag:
Kurze Zeit nachdem ich den Artikel geschrieben habe, ist mir eine ganz neue Studie von Schweizer und österreichischen Sprachwissenschaftlern zur Veränderung des Alemannischen in die Hände geraten: “Analyzing linguistic variation and change using gamification web apps: The case of German-speaking Europe.”
Sie bestätigt Einiges, was ich beobachte, hat mir aber auch klar gemacht, dass ich eine arg verengte Vorstellung des Alemannischen Sprachraums habe.