Adrian Zschokke, Climate, Communication, Energy, Gastbeitrag, Nuclear Energy

Dissidenten, nicht Konvertiten

Replik zum Gastbeitrag “Konvertiten” von Adrian Zschokke

Grafik: A. Zschokke


Lieber Adrian

Ich habe lange gezögert mit einer Replik auf Deinen jüngsten Gastbeitrag “Konvertiten” hier auf Contextlink.
Mit vielem (fast allem), was Du schreibst, bin ich einverstanden. Auch ich schüttle immer mal wieder den Kopf über Michael Shellenberger. Bisher habe ich ihn dreimal persönlich getroffen; einmal zusammen mit Dir in München. Vor gut drei Jahren haben ich ihn in seinem Büro in Berkley/Californien auch interviewt, habe das Video aber nie publiziert, weil mich insbesondere seine Haltung zu den Atomwaffen arg irritiert hat.

Ich werde ihn aber weiter lesen; kritisch, aber offen, nicht grundsätzlich ablehnend. Es braucht Figuren wie ihn. Ich muss nicht in allem mit ihm einig sein. Aber er öffnet viele Fenster und hat auch meinen Horizont erweitert.

Was mich stört an Deinem Artikel ist die Deklassierung Shellenbergers als „Konvertit“. Der Begriff ist bei uns klar negativ konnotiert – und so meinst Du es auch. Mit dieser Deklassierung scheinst Du mir in der Falle dessen, was Du beklagst: das extremistische Denken in schwarz-weiss.

Ich würde Shellenberger eher als Dissidenten bezeichnen.

Um in Deiner religiösistischen Terminologie/Analogie zu bleiben: Shellenberger gehört immer noch zur Glaubensgemeinschaft der Umwelt- und Klimaschützer. Dies ist immer noch sein zentrales Anliegen (und sein Business). Er lebt und propagiert auch weiter andere Werte der Glaubensgemeinschaft wie die (Chancen-)Gleichheit, soziales Engagement, Solidarität, etc.. Aber er lehnt ein zentrales, identitätsstiftendes Dogma der orthodoxen Grünen Bewegung ab: Er ist nicht gegen, sondern für die Nutzung der Atomenergie. Deshalb ist er aus der dominierenden Sekte ausgestiegen oder ausgestossen worden.

Und wenn Du ihn jetzt als Konvertiten bezeichnet, tust Du genau das: Du stösst ihn aus der Glaubensgemeinschaft aus. Du rückst ihn gar in die Nähe der Klimalügner, indem Du zum Beispiel schreibst, er würde die Gefahren des Klimawandels kleinreden oder er erinnere Dich an die Coronaskeptiker.

Da schwingst Du die gröbste denkbare Keule, um seine Glaubwürdigkeit zu zerstören; ähnlich wie es die Albaner tun, wenn sie über jemanden sagen, er stehe im Dienst der Serben. Dem “Kollaborateur“, „Abtrünnigen“, „Verräter“ (oder eben „Konvertiten“ oder „Klimaleugner“) wird damit jede Legitimation zur Mitsprache, in welchem Thema auch immer, abgesprochen.

Shellenbergers Positionen sind auch mir häufig zu extrem, zu populistisch-boulevardesk. Aber wenn Shellenberger eine Konvertit ist, dann sind es auch alle andern öffentlich bekannten Exponenten der rasch wachsenden Bewegung, die man vielleicht unter dem Label „Ecomodernist“ zusammenfassen kann: Leute wie Ted Nordhaus, James Hansen, Mark Lynas, Narasimha Rao, Saleemul Huq, Vijaya Ramachandran, Iida Ruishalme, Zion Lights, Björn Lomborg, Jonathan Symons und alle die Wissenschaftler, welche weltweit Petitionen und Erklärungen zur Nutzung der Atomenergie als Teil der Lösung des Klimawandels unterzeichnet haben. (Und auch wir, Du und ich, und die wachsende Zahl der Leute in unserem näheren und weiteren Umfeld, die es wagen, einige wenige, “heilige” Dogmen der orthodoxen Grünen Bewegung in Frage zu stellen.)

Unter all diesen Dissidenten befinden sich auffällig viele Wissenschaftler; nicht wenige davon sind anerkannte Experten in Fragen des Klimawandels. Alle diese Dissidenten stellen eine Bedrohung für die Hohenpriester der dominierenden Sekte der orthodoxen Grünen Bewegung dar; sie stellen deren (alleinige) Deutungshoheit in Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes in Frage.

Und Leute wie Shelllenberger sind besonders gefährlich, weil sie aus dem Innern der Bewegung kommen. Plötzlich kommen Argumente, die bisher nur von Ungläubigen (Strombaronen, Klimaleugnern, Kapitalisten, Lobbyisten der Industrie, etc.) vorgebracht wurden und deshalb leicht vom Tisch gewischt werden konnten, von Leuten, die im Grunde dieselben Werte vertreten. Dadurch sind bisher brave Mitglieder der dominierenden Sekte viel „gefährdeter“, sich auf die Argumente der Dissidenten einzulassen oder sie ohne reflexartige Empörung zumindest in Betracht zu ziehen.

Zion Lights, die ehemalige Sprecherin der britischen Sektion der „Extinction Rebellion“ ist nur ein Beispiel von vielen, die ihre Meinung geändert haben, als sie sich endlich auf die „andern“ Informationen einliessen:

For many years I was skeptical of nuclear power. Surrounded by anti-nuclear activists, I had allowed fear of radiation, nuclear waste and weapons of mass destruction to creep into my subconscious.
When a friend sent me a scientific paper on the actual impacts, including the (very small number of) total deaths of radiation at Chernobyl and Fukushima, I realised I had been duped into anti-science sentiment all this time.
The mindset that you cannot be pro-environment and pro-nuclear at the same time needs challenging. The more research I read, the more I learned about how nuclear power is an essential tool in the battle to address climate change.“

Die Dissidenten gefährden aber nicht nur die Glaubwürdigkeit der Köpfe der orthodoxen Grünen Bewegung, sondern damit auch deren Macht und alle damit verbundenen Privilegien wie Ämter in Politik und staatlicher Verwaltung, führende Positionen in dazugehörigen NGO, an Universitäten, in den Medien; und andere Pfründe.

Leute wie Shellenberger sind Konkurrenten der traditionellen grünen Organisationen (Parteien, NGO, etc.) im Markt. Diese müssen nicht nur befürchten, dass ihre Mitglieder zu den Shellenbergers überlaufen; auch potenzielle Geldgeber, nicht zuletzt aus der Wirtschaft, drohen ihr Geld nicht mehr den traditionellen grünen Organisationen, sondern den (ecomodernistischen) Konkurrenten zu geben; nicht zuletzt, weil sie ihnen auch ideologisch näherstehen.

Es ist auffällig, dass neue Dissidenten meist nicht nur bezüglich der Nutzung der Atomenergie umdenken, sondern auch grundsätzlich eine liberalere Haltung gegenüber anderen Technologien entwickeln, zum Beispiel auch gegenüber der Gentechnologie, speziell der neuen Genom-Editierung.
Ecomodernisten sind nicht grundsätzlich gegen Wachstum. Sie wissen aber, dass ein weiteres Wachstum der globalen Wirtschaft, welches zur Verbesserung der Lebensqualität der bisher benachteiligten grossen Mehhreit der Weltbevölkerung nötig ist, nicht mehr auf Kosten der Umwelt gehen darf. Es bedarf einer Entkoppelung des (Wirtschafts- und Wohlstands-) Wachstums von der Natur/Umwelt.

Michael Shellenberger ist ein erfolgreicher Propagandist. Er hat sich eine starke öffentliche Position (und Fangemeinde) aufgebaut: Seine Bücher verkaufen sich gut, er schreibt Kolumnen in renommierten Zeitungen, wird als Experte zu Hearings des US-Senats eingeladen und hält weltweit Referate. Seine USP ist die Kritik der orthodoxen Grünen Bewegung. Er versucht aufzuzeigen, wo ihre PR irrt oder schlicht Falsches behauptet.

Bei diesem Kampf um die Deutungsshoheit geht es nicht zuletzt um die „richtige“ Lösung:
– Für die orthodoxe Grüne Bewegung heisst sie: Solar-/Windenergie – und Verzicht.
– Shellenbergers Lösung heisst Atomenergie.
Die kommunikative Strategie beider Seiten zur Propagierung der eigenen Lösung ist dieselbe: sie versuchen die Glaubwürdigkeit der Gegenseite zu zerstören und deren Lösung als falsch zu verunglimpfen.

Das ist ein Ärgernis.

Die Haltung der allermeisten Ecomodernisten, den Dissidenten, ist eine andere: das eine tun und das andere nicht lassen. Oder wie es die finnische Sektion der Fridays for Future dieser Tage formuliert hat:

“Jetzt ist nicht die Zeit, eine emissionsarme Energiequelle ganz auszuschließen, sondern wir müssen alle verfügbaren Mittel nutzen, um die Klimakrise zu bekämpfen. Der Widerstand gegen die Kernenergie wird die ohnehin schon gewaltige Aufgabe noch komplizierter und größer machen. Wenn wir die Erderwärmung unter 1,5 Grad halten wollen, brauchen wir alle möglichen Mittel, einschließlich der Kernenergie, um dieses Ziel zu erreichen.”

Du sagst ja in Deinem Text dasselbe: „Für Grabenkämpfe ist keine Zeit mehr.“

Ich glaube, lieber Adrian, da sind wir wieder ganz einig.

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