Stilllegung AKW Mühleberg eine Fehlentscheidung
Der Strom aus dem AKW Mühleberg fehlt. Mit der Ausserbetriebnahme Mühlebergs hat die Schweiz Ende 2019 auf einen Schlag 5% der inländischen Stromproduktion verloren. Jährlich 3 Terawattstunden (TWh) praktisch CO2-freier Strom.
Zum Vergleich: Sämtliche Fotovoltaikanlagen der Schweiz haben 2020 zusammen weniger Strom geliefert (2,6 TWh), als das AKW Mühleberg bis zu seiner Abschaltung 2019 jährlich ins Netz eingespeist hat (2019 waren es 3.2 TWh). 2020 gab es in der Schweiz 41 (Gross-) Windkraftanlagen. Sie haben 0,14 TWh oder 0.2% des Schweizer Stroms produziert.
Es bräuchte theoretisch rund 600 Windanlagen, um dieselbe Menge Strom wie im AKW Mühleberg zu produzieren.
2021 dürfte erstmals etwas mehr als 5% des Schweizer Stroms aus inländischen Solar- und Windenergiequellen stammen. (Die Statistiken für 2021 liegen noch nicht vor).
Doch ein Ersatz für das AKW Mühleberg ist das noch lange nicht. Denn die Solar- und Windanlagen liefern nur Strom, wenn die Sonne scheint und/oder der Wind bläst. Das AKW Mühleberg hingegen hätte noch während den nächsten 10 bis 15 Jahre gleichmässig Strom produziert, sogenannten Bandstrom, auch bei Dunkelflaute.
Es ist deshalb nötig, zusätzlich zu den Wind- und Solaranlagen etwa noch einmal soviel Strom in Reserve zu halten für die vielen Tage, insbesondere im Winter, an denen die neuen Erneuerbaren (Wind und Solar) keinen oder zu wenig Strom liefern. Weil es bisher keine entsprechenden Speichermöglichkeiten gibt, will der Bund als Backup Gaskraftwerke bauen – als „Brückentechnologie“.
Bald wird also Strom aus einer fossilen Energiequelle den CO2-freien Atomstrom ersetzen – nicht nur den aus Mühleberg, sondern bald auch den aus den AKWs Beznau, Gösgen und Leibstadt.
Seit ein paar Monaten geistert das Problem einer Strommangellage, der grössten anzunehmenden Krise für die Schweiz, durch die Medien und beginnt sich in den Köpfen von immer mehr Leuten festzusetzen.
Langsam macht sich auch in der Schweiz die Erkenntnis breit, dass der Atomausstieg ein Fehler war – nicht nur wegen der Versorgungssicherheit, sondern auch wegen der Relevanz des Atomstroms in der Klimaproblematik.
Zu den Stimmen, die es wagen, den Atomausstieg öffentlich zu kritisieren, hat sich letzte Woche auch Suzanne Thoma, die scheidende Chefin der BKW, gesellt.
In einem Interview mit dem Berner „Bund“, welches auch in den anderen grossen Onlineportalen der Tamedia-Gruppe veröffentlicht wurde, sagte sie auf die Frage, ob der Schweizer Atomausstieg „durchdacht“ sei – nach langem Überlegen, wie uns „Der Bund“ wissen lässt:
Die ehrliche Antwort ist nein. Natürlich war dieser Ausstieg nicht durchgedacht mit all seinen Konsequenzen.
Das scheint mir doch besonders bemerkenswert, denn unter Suzanne Thomas Führung hat die BKW bekanntlich erst vor zwei Jahren ihr AKW Mühleberg vorzeitigt abgestellt und der Schweiz damit rund 40 Terawatt CO2-freien Strom vorenthalten. (Bei einer anzunehmend Betriebszeit von 60 Jahren bis 2032: 13 x 3 Terawatt).
Leider hat es der interviewende Journalist versäumt, Frau Thoma die naheliegende Frage zu stellen, ob entsprechend auch ihr Entscheid, Mühleberg frühzeitig stillzulegen, ein Fehler gewesen sei.
Sie hat die im Raum stehende, nicht gestellte Frage dann indirekt, aber doch noch beantwortet – mit der Standard-Antwort der BKW von damals, der fehlenden Wirtschaftlichkeit:
Beim KKW Mühleberg sahen wir uns 2014 (tatsächlich war es 2013; AM) mit zusätzlichen Sicherheitsauflagen der Behörden konfrontiert, die hohe Investitionen ausgelöst hätten. Das hatte zur Folge, dass wir uns für die Stilllegung entschieden haben.
Die nötigen Investitionen wären so teuer, kommunizierte die BKW damals, dass sie in der verbleibenden Betriebszeit nicht mehr amortisierbar wären.
Doch heute deutet Vieles darauf hin, dass dies höchstens die halbe Wahrheit war:
- Zwar waren die Strompreise damals tatsächlich tief im Keller, aber es war absehbar, dass der Erlös pro produzierter Kilowattstunde schon sehr bald wieder deutlich steigen würde, weil die Klimaproblematik zusätzlich eine Elektrifizierung von Industrie und Transport/Verkehr diktierte.
(Inzwischen ist der Strompreis so weit in die Höhe geschossen, dass das AKW Mühleberg heute eine Cashcow für die BKW wäre.) - Die BKW hatte damals schon mehrfach kommuniziert, sie plane, ihr AKW nach 50 Betriebsjahren 2022 stillzulegen. Die Option einer Laufzeit von 60 Jahren, welche auf der Basis der verlangten Sanierungsmassnahmen durchaus denkbar gewesen wäre, wurde von der BKW offenbar nie in Erwägung gezogen. (Die Axpo hat diesen Weg mit dem AKW Beznau erfolgreich beschritten.)
- Vorallem aber – und darüber wurde bisher noch kaum öffentlich gesprochen – wäre die Bewilligung für den Langzeitbetrieb viel billiger zu haben gewesen, als die BKW öffentlich vorgerechnet hat:
Auf 170 Millionen Franken hatte ihr Projektteam im Sommer 2012 die Kosten für die nötigen Nachrüstmassnahmen beziffert. Das AKW könne aber trotzdem weiter rentabel Strom produzieren, hatte die BKW-Führung versichert.
Bereits im Dezember 2012 hatte die BKW dann aber bekannt gegeben, die 170 Millionen würden wohl nicht reichen; und Greenpeace glaubte zu wissen: „Die Wirtschaftlichkeit des AKW steht auf der Kippe“. - Im Nachhinein ist offensichtlich, dass die Geschäftsleitung (spätestens) damals betriebsintern den Auftrag erteilt hatte, auch eine alternative Berechnung für die Option einer vorzeitigen Ausserbetriebnahme vorzulegen. Anders ist nicht erklärbar, dass die BKW schon gut 9 Monate später, anlässlich der Bekanntgabe des Ausstiegsentscheids Ende Oktober 2013, eine entsprechende Lösung präsentieren konnte, die massiv billiger war, nämlich 15 Millionen Franken.
- Die Spezialisten des AKW hatten nicht einfach nur eine billige Lösung gefunden, sondern eine, die gleichzeitig auch die Vorgaben der Aufsichtsbehörde ENSI erfüllten. Es sind die Massnahmen, die dann später auch umgesetzt wurden.
- Wir wissen aus späteren, offiziellen Verlautbarungen, dass das ENSI nicht etwa einfach eine Minimallösung akzeptiert hatte, sondern darauf beharrte, dass die wesentlichen Forderungen für den Langzeitbetrieb auch bei einer verkürzten Restlaufzeit gelten mussten – einzig die Sanierung des Kernmantels war der BKW erlassen worden.
- Das heisst aber, dass mit den Nachrüstmassnahmen, welche für die Restlaufzeit zum Preis von 15 Millionen Franken umgesetzt wurden, auch die Forderungen für den Langzeitbetrieb weitgehend erfüllt gewesen wären – dazugekommen wären noch die Kosten für die Sanierung des Kernmantels, welche für den Langzeitbetrieb Bedingung war.
Bei einem geschätzten tiefen zweistelligen Millionenbetrag für die Sanierung des Kernmantels wäre die Bewilligung für den Langzeitbetrieb aber immer noch zu einem Bruchteil der ursprünglich geschätzten 170 Millionen Franken zu haben gewesen.
Leider wissen wir nicht, ob der BKW-Verwaltungsrat bei seinem Ausstiegsentscheid im Oktober 2013 Kenntnis davon hatte, dass der Langzeitbetrieb und damit die unbefristet Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg viel kostengünstiger zu haben war oder ob die Option Langzeitbetrieb überhaupt noch zur Diskussion stand.
Vieles spricht dafür, dass die BKW-Führung die Nachrüstforderungen des ENSI als Vorwand genutzt hat, um die politisch lästige Atomkraft, welche das Image der BKW ständig aufs Neue schädigte, los zu werden. Der Atomstrom passte nicht zur neuen Strategie, welche Frau Thoma in den folgenden 10 Jahre erfolgreich umsetzte: Sie baute die BKW zu einem internationalen Energiedienstleister um. wobei vermehrt im Ausland investiert wurde. Diese wirtschaftlich erfolgreiche Politik gerät heute aber zusehends unter Druck.
Ich unterstelle, dass das, was Frau Thoma im Bund-Interview über den gesamtschweizerischen Entscheid zum Atomausstieg sagte, auch für den BKW-Entscheid von 2013 gilt:
„Ich persönlich denke, dass zum Zeitpunkt des Entscheids die CO2-Problematik vielen nicht so bewusst war.“
Und genau so wenig war damals die Versorgungssicherheit ein Thema.
Heute, nicht einmal 10 Jahre nach dem Ausstiegsentscheid der BKW und 5 Jahre nach dem Volksentscheid zur Energiestrategie2050 mit dem Kern des Atomausstiegs hat sich die Wahrnehmung der Problematik geändert, der Wind scheint zu drehen.
Auch für die scheidende BKW-Chefin:
Wenn wir wirklich davon ausgehen, dass CO2-Emissionen eine existenzielle Gefahr für uns sind, müssen wir die Kernenergie wieder ernsthaft prüfen.
Noch seien wir an den Volksentscheid von 2017 gebunden, aber:
Sollte sich der Volkswillen ändern – vielleicht auch unter dem Eindruck kommender Entwicklungen –, wird man sich dies wieder überlegen müssen.
Das erinnert mich an die Aussage von Bundesrätin Doris Leuthard als deren Vermächtnis die Energiestrategie2050 gilt. Wiederholt hat sie Ausstiegsgegnern, die von einem defacto Technologieverbot sprachen, entgegengehalten, dies sei kein Technologieverbot. Aber „im Moment“ sei die Atomenergie „kein Zukunftsmodell“. Das Gesetz könne aber bei Bedarf angesichts neuer Entwicklungen jederzeit wieder „angepasst“ werden.
Und heute, nur 5 Jahre nach dem definitiven Ausstiegsentscheid, ist die Diskussion zurück. Mit einiger Wahrscheinlichkeit, wird es auch schon bald wieder eine neue Volksabstimmung zur Atomstromfrage geben.
Die Voraussetzung dürften diesmal anders sein und die Debatte viel differenzierter:
Als die die Schweiz den Atomausstieg beschloss, sagte Suzanne Thoma im Bund-Interview, “war die CO2-Problematik vielen nicht so bewusst.”
Dazu kommt heute die Sorge um die Stromversorgungssicherheit.
Und – nicht zuletzt – die orthodoxen Grünen und ihre Exponenten in Politik, NGO und Medien haben die alleinige Deutungshoheit in der Frage der Nutzung der Atomenergie verloren.
Von der Versorgungsseite her gesehen ist die Abschaltung nicht ein sehr grosses Problem. Man hätte mit viel Geld einiges nachrüsten müssen, gehörte der Siedewasserreaktor doch zur ersten Generation. Man müsste jetzt aber im Sinne einer dringenden Vorsorgemassnahme, so bald als möglich mit dem Bau eines Gaskraftwerks mit einer Leistung in der Grössenordnung von 500 MWe beginnen. Dieses könnte meines Erachtens am gleichen Standort gebaut werden. Wenn ich mich nicht sehr täusche dürfte es aber noch sehr lange gehen bis in Bern diese Entscheidung gefällt wird. BR Sommaruga könnte aber damit ihr Gesicht wahren und eine durchaus mögliche Abwahl im Dezember 2023 vermeiden. Standortwahl und Baubeschluss sind DRINGEND. Dann würde wieder Hardware produziert und nicht nur Papier, warme Luft und viele unsinnige Kommentare in den Medien . Der Staat müsste das Projekt finanzieren und könnte es später an eine Betreibergesellschaft verkaufen. Damit würde er auch der Devise nachleben “Gouverner, c´est prévoir”.