Atomgefahr: besonnene Gelassenheit – bisher.
Die Welt hat bisher mit besonnener Gelassenheit auf die Drohung Putins reagiert, seine Atomwaffen einzusetzen. Insbesondere haben sich die unmittelbar bedrohten Ukrainer nicht erpressen lassen, sich widerstandslos zu ergeben. Und auch in der Schweiz gab es bisher keine übertriebenen Angstreaktionen. Vereinzelte Versuche, das Thema politisch und medial zu bewirtschaften, sind rasch verpufft.
(Dies würde sich aber wohl schlagartig ändern, falls Putin, um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen und die NATO zu testen, als nächstes einen räumlich eng beschränkten Schlag mit einer „kleinen“, taktischen Atombombe befehlen würde.)
Eine kleine Umfrage in meinem überwiegend linksliberalen Umfeld hat diesen unaufgeregten Umgang mit der Drohung Putins bestätigt. Wenige haben sich mit dem Thema überhaupt beschäftigt. Der Tenor: „Ich glaube nicht, dass wir uns hier in der Schweiz fürchten müssen.“
Das ist eine realistische Einschätzung, auch wenn sie nur auf einem Gefühl beruht oder gar auf einer Schutzhaltung: “Ich will mich gar nicht mit der Frage beschäftigen.”
Auch „Experten“ können sich kaum einen Grund vorstellbar, warum Putin eine Atombombe ausgerechnet auf die Schweiz schiessen sollte. Vielleicht kann man sogar zynisch sagen, die vielen Oligarchen, die mit ihren Familien in der Schweiz leben, ihre Firmensitze hier haben und deren Geld auf Schweizer Konten liegt, sind ein zusätzlicher Schutz für uns.
Wer sich trotzdem in der morbiden Vorstellung eines direkten Atomschlags auf ein Schweizer Ziel suhlen will, kann das mit dem Tool “Nukemap” tun. Dort kann nicht nur einen Ort des Atomschlags nach belieben wählen, sondern auch mit der Detonationskraft der Bombe „spielen“.
So weiss ich jetzt zum Beispiel: Würde eine Atombombe von der Grösse (Sprengkraft 12.5 Kilotonnen), welche 1945 Hiroshima zerstörte, auf den Bahnhof Basel niedergehen, würden 22’000 Menschen sterben, rund 50’000 würden verletzt.
Heute einsatzbereite Atombomben in den Waffenlagern der Grossmächte sind aber häufig um ein Vielfaches stärker als die, welche 6. August 1945 über der Innenstadt von Hiroshima explodierte. Die Bomben, welche auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz bereit liegen, haben zum Beispiel eine Sprengkraft von 170 Kilotonnen. Würde eine solche Bombe auf Basel geschossen, müsste man mit mehr als 100’000 Toten und 130’000 Verletzten rechnen.
Auch Greenpeace hat das Nukemap-Tool für seine Studie “Die Auswirkung einer Atombombe auf Deutschland” verwendet. Darin findet sich auch eine zunächst recht nüchterne, fachlich weitgehend korrekte Beschreibung des Ablaufs eines Atomereignisses. Bei den möglichen langfristigen Auswirkungen der Strahlung auf die Bevölkerung geht Greenpeace dann allerdings der PR-Gaul durch mit Zahlen weit jenseits der wissenschaftlichen Fakten.
Das Atombomben-Tool zeigt aber drastisch, dass die Welt sehr gut daran tut, sich vor einem Atomkrieg zu fürchten, selbst wenn dabei „nur“ taktische Waffen eingesetzt werden. Es gibt keine schrecklichere Waffe als eine Atombombe. Das Problem ist dabei nicht primär die radioaktive Strahlung, sondern die Explosionskraft mit ihrer verhehrenden Druckwelle und der extremen Hitze, die sie in der Nähe des Detonationsszentrum entwickelt.
Fast alles, was wir über die Wirkung einer Atombombe wissen, stammt aus der umfangreichen wissenschaftlichen Forschung zu den (bisher zum Glück nach wie vor einzigen) Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki gegen Ende des 2. Weltkriegs und den zahlreichen Atombombentests der Atommächte von 1945 – 1980.
In der älteren Generation der Schweizer Bevölkerung, welche mit dem „Zivilschutzbüechli“ noch detailliert über ein Verhalten bei einem Atomangriff instruiert wurde, kursiert immer noch die Vorstellung, dass ein Atomangriff das Ende allen Lebens und sowieso der Schweiz bedeuten würde. Diese Vorstellung ist aber ganz offensichtlich auch noch im Kopf von etwas Jüngeren, wie eben ein Kommentar des Chefredaktors der Basellandschaftlichen Zeitung mit dem Titel „Die verängstigte Gesellschaft“ deutlich macht. Patrick Marcolli (geboren 1970) schreibt: „…. suchen wir im Bunker Schutz vor einem Atomkrieg? Was wäre der Sinn und Zweck eines solchen Schritts, der das Leben um ein paar (angstvolle) Tage verlängern würde?“
Diese apokalyptische Vorstellung ist das Produkt der (bis heute erfolgreichen) Abschreckungspropaganda des Kalten Krieges und der Bewirtschaftung der Angst vor der Strahlung durch die Anti-Atombewegung – unterstützt von einer ganzen Flut von Katastrophenfilmen, Comics und Büchern, welche sich an einer nuklearen Apokalypse verlustieren.
Tatsächlich kann man sich schon ein Szenario ausdenken, welches die Schweiz grossflächig zerstören würde. Dazu wäre aber ein flächiges Bombardement mit einer Vielzahl von Sprengköpfen mit grosser Sprenkraft nötig. Eine einzelne Bombe oder ein Angriff auf ein spezielles Ziel würde nicht das Ende der Schweiz bedeuten.
In Hiroshima und Nagasaki ging das Leben ausserhalb der vollständig zerstörten Zone (in einem Radius von 2.5 Kilometer um das Detonationszentrum) schon am Tag nach dem Atomschlag weiter. Heute sind Hiroshima und Nagasaki blühende Städte. Die radioaktive Strahlung ist schon seit vielen Jahren nicht mehr erhöht. Und die Befürchtung, die radioaktive Belastungen, welcher viele der Überlebenden ausgesetzt waren, würde ihre Gesundheit mittel- und langfristige schwer schädigen und gar zu genetischen Schäden führen, welche sich noch auf die Folgegeneration auswirken könnten, haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. (Details dazu gibt es hier.)
Das Szenario, um das wir uns in der Schweiz heute mit Blick auf die Ukraine kümmern und für das wir uns vorbereiten müssen, ist die Auswirkung eines russischen Atomschlags zunächst auf Ziele in der Ukraine und/oder schlimmstenfalls auf NATO-Stellungen in Europa:
Bei einem solchen Atomschlag entsteht eine Wolke von radioaktiv verseuchten Partikeln, welche je nah Windrichtung und Wetter auch die Schweiz erreichen könnte.
Es wäre ein ähnliches Szenario wie bei einem schweren AKW-Unfall, doch mit wesentlichen Unterschieden: Die freigesetzte Radioaktivitätsmenge ist bei Atombomben in der Regel grösser als bei AKW-Unfällen. Die Isotope, die freigesetzt werden, sind aber kurzlebiger und zerfallen schnell. Die Anteile der problematischeren, langlebigen Isotope wie Cäsium (Cs-137) oder Strontium (Sr-90), welche die Umwelt während vielen Jahren kontaminieren können, sind bei Atombomben anteilsmässig geringer als bei AKW-Unfällen. Hinzu kommt, dass sich die Radioaktivität einer Bombe viel weiträumiger verteilt als bei einem AKW-Unfall. Der grösste Teil der Radioaktivität gelangt in die Stratosphäre und wird weltweit verfrachtet und entsprechend verdünnt.
Die Menge der radioaktiven Partikel, welche sich in der näheren Umgebung einer Explosion ablagern, ist abhängig von der Stärke und der Zündhöhe der Bombe. Nur eine Explosion in Bodennähe verursacht einen nennenswerten „Fallout“ in der Umgebung. Bei einer Explosion in grösserer Höhe verteilt sich die Radioaktivität auf eine so grosse Fläche, dass sie kein Problem mehr darstellt.
Selbstverständlich sind auch Szenarien denkbar, welche bei einer Ausweitung des Kriegs in der Ukraine auf das Gebiet der NATO auch zu Atomschlägen näher zur Schweizer Grenze führen könnten. So könnte man sich als Basler zum Beispiel einen russischen Schlag gegen die französische Luftwaffenbasis in Luxeuil, knapp 100 Kilometer nordwestlich von Basel ausmalen, auch wenn dort seit einigen Jahren keine Atomwaffen mehr gelagert werden.
Eine radioaktive Wolke aus Luxeuil könnte Basel erreichen, ganz ähnlich wie das für Genf bei einem schweren Unfall im AKW Bugey, rund 80 Kilometer südwestlich der Schweizer Grenze, denkbar ist.
Die Schweiz ist auf ein solches Szenario, zumindest formal, gut vorbereitet. Und die Erfahrungen aus Tschernobyl und Fukushima zeigen, dass schon minimale Schutzmassnahmen dafür sorgen würden, dass wir eine solche Situation ohne nachhaltige Schäden bewältigen könnten.
Eine wichtige Voraussetzung dafür ist aber auch dann eine besonnene Gelassenheit, welche nüchternes Handeln erlaubt.
Und an diesem Punkt mache ich mir Sorgen: Ich fürchte, die dominierende Reaktion bei einer konkreten Bedrohung wäre … Panik. Nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei den zuständigen Behörden. Und damit besteht die Gefahr, dass sich die Fehler, welche die Behörden in Fukushima bei der Katastrophenbewältigung gemacht haben, auch in der Schweiz wiederholen könnten.
Doch dies muss das Thema eines neuen Artikels hier auf Contextlink sein.