Diskussion “Neustart Energiepolitik Schweiz” (Update 28.8.22)
Update 28.8.22.
Die Diskussion um die Energiestrategie2050 in der Schweiz entwickelt sich:
Alt-Bundesrätin Leuthard verteidigt in der NZZ “ihr Vermächtnis”. “Wir sind ein kluges Volk.” Darauf analysiert die NZZ kritisch: “Energiekrise: Wie gross ist die Schuld von Doris Leuthard?”
Und nächste Woche soll die Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative zur Aufhebung des Bauverbots für AKW beginnen.
Der Tagesanzeiger teilt meine Meinung:https://www.tagesanzeiger.ch/die-akw-frage-gehoert-nochmals-auf-den-tisch-647891164721
Mein Beitrag “Neustart Energiepolitik Schweiz” hat einen alten Journalistenkollegen und guten Freund, Peter Frey, zum Widerspruch provoziert, den ich hier in einen separaten Post wiedergeben möchte. Nicht zuletzt erlaubt mir das, auf seinen Kommentar zu replizieren.
Kommentar Peter Frey vom 7. August 2022
Lieber Andrea
Dein Denkansatz ist falsch.
Eine Strategie ist naturgemäss auf einen längeren Zeitraum ausgelegt. Daher hat die Energiestrategie2050 nach wie vor ihre Gültigkeit.
Dass aus umwelt- und klimapolitischen Gründen eine Dekarbonisierung des Energieverbrauch nötig ist, steht ausser Frage. Neu kommt auch noch eine Reduktion der energiepolitischen Auslandabhängigkeit hinzu.
Statt eine neue Strategie aufzustellen und Zeit und Ressourcen zu verschwenden, ist vielmehr eine Erhöhung der einzelnen taktischen Schritte zur Erreichung eines solchen strategischen Ziels nötig. Es braucht zwingend eine Vereinfachung der Bauvorschriften in den 2172 Gemeinden und in den 26 Kantonen. Und: Es braucht zwingend eine Verschlankung bei den Einspruchsverfahren und eine Verkürzung des Beschwerdeweges. Das gilt sowohl für die bestehenden Rechtsnormen wie auch für eine eventuelle Nachjustierung von Energiegesetz und Energiestrategie.
Oder wie es Marius Baschung, damaliger Direktor des Bundesamtes für Raumplanung, einmal sagt: Es wäre schön, wenn wir ein Raumplanungsgesetz auf Bundesebene hätten, das direkt auf kommunaler Eben umgesetzt werden könnte. Sparapelle nützen nichts. Bund, Kantone und Gemeinden müssen aus ihren Denk-Silos heraussteigen, über ihren Schatten springen und alte Zöpfe endlich abschneiden.
Replik zum Kommentar von P. Frey
Lieber Peter
Natürlich ist eine Energiestrategie2050 auf einen längeren Zeitraum ausgelegt. Gerade dieses langfrstige Denken hat mir an dem Auftrag des Bundesrats an das Bundesamt für Energie (BfE) im Mai 2011 sehr gefallen.
Aber auch eine langfristige Strategie kann es sich nicht erlauben, die mittelfristigen Bedürfnisse nicht abzudecken.
Leider lag der Fokus dann halt doch in erster Linie auf den kurzfristigen, politischen Bedürfnissen. Die Bundesverwaltung und das Parlament haben eine unreife Energiepolitik entworfen und beschlossen, welche den Entscheid zum Atomaustieg, der unter dem Schock von Fukushima 2011 überstürzt getroffen wurde, machbar erscheinen lassen sollte.
Natürlich kann man dem BfE und der Politik nicht vorwerfen, die aktuelle Krise – verursacht durch die Pandemie und den Ukrainekrieg – nicht vorhergesehen zu haben. Die jetzt drohende Mangellage hätte auch eine andere Energiepolitik wohl nicht vermeiden können.
Aber:
Die jüngsten internationalen Ereignisse, aber auch andere Erfahrungen der jüngeren Energiepolitik, nicht zuletzt in unserem Nachbar- und Energiestrategievorbildland Deutschland, machen die grossen Schwächen unserer Strategie jetzt offen sichtbar:
Die andauernde Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger, welche wegen der nötigen Dekarboniserung der Bereiche Industrie, Verkehr und Wohnen bei gleichzeitigem schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie weiter zunehmen wird.
Das ist vielleicht der grösste Vorwurf, den sich die Macher der Energiestrategie2050 gefallen lassen müssen: Sie haben es verpasst, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, dass die beschlossene Energiepolitik überhaupt funktionieren kann; sowohl politisch, rechtlich wie auch technisch.
Eine solche Politik halte ich für verantwortungslos.
Die Energiestrategie2050 steht auf einer unseriösen Basis: dem Prinzip Hoffnung. Es ist die Hoffnung „irgendwie wird das dann schon gehen“. Schlimmer noch: Sie hat eine erzieherische Absicht, die ich auch bei persönlichen Gesprächen mit wichtigen Machern der Strategie immer wieder gehört habe: Mit dem Atomausstieg wird endlich der nötige Druck auf die Politik (und die Bevölkerung) entstehen, die nötigen Massnahmen zu ergreifen, welche eine Energiewende erst ermöglichen. Ich gebe gerne zu, dass ich selbst dies auch als ein gutes, wenn auch politisch heikles Argument angesehen habe.
Wirklich stossend finde ich, dass Politik und Medien der Bevölkerung vor der Abstimmung 2017 nicht die ganze Wahrheit gesagt hat:
- dass die Energiestrategie2050 nicht wirklich eine Dekarbonisierungsstrategie ist;
- dass es für ihre Umsetzung weiterhin fossile Energieträger (Gas) brauchen wird (zumindest hat man das, je näher die Abstimmung rückte, desto mehr verschwiegen);
- dass es nicht genügt, bloss Solar- und Windkraftanlagen zu installieren, die gleichviel Strom erzeugen wie die AKW bisher, dass vielmehr riesige Kapazitäten für speicherbare Backups geschaffen werden müssen für die Zeiten, in denen der Wind nicht bläst und die Sonne nicht scheint;
- dass wichtige Technologien, auf welche die Strategie angewiesen ist, noch gar nicht existieren;
- dass wir weiterhin vom Import von Strom aus dem Ausland abhängig bleiben werden und
- dass wir mit dem massenhaften Bedarf an Solarpanels in eine heikle Abhängigkeit von China zu geraten drohen.
(Die einzige Partei, welche auf die Probleme der Strategie hingewiesen hat, war die SVP. Leider diskrediert die Art ihrer Kommunkation bei Leuten ausserhalb der engsten SVP-Wählerschaft auch eigentlich gute Argumente.)
Die aktuelle Krise birgt zumindest die Chance, jetzt rasch auf eine realistische Energiepolitik umzuschwenken.
Deren Ziel darf nicht mehr primär der Atomausstieg sein, sondern die Dekarbonisierung der Schweiz.
Diesmal sollen realistische Annahmen getroffen werden, wobei auch die jüngsten Erfahrungen im In- und Ausland hilfreich sein werden.
Ich glaube nicht, dass dafür ein blosses „Nachjustieren“ genügt. Es braucht eine von Grund auf neugedachte Energiepolitik.
Diese neue Strategie muss ideologiefrei und technologieneutral sein. Ich persönlich finde, es wäre falsch, dabei auf die CO2-freie Atomenergie zu verzichten. Aber tatsächlich scheint die Schweiz eines der wenigen Länder dieser Welt, in der eine Dekarbonisierung ohne den Strom aus Atom möglich ist; dank unserer Superbasis Wasser, die künftig auch ohne massiven Ausbau der Staukapazitäten in einer dekarbonisierten Schweiz rund die Hälfte (40 TWh) des benötigten Stroms liefern kann. Und dass dabei auch Gas als Überbrückungstechnologie genutzt werden muss, scheint angesichts des minimalen Anteils der Schweiz an den globalen CO2-Emissionen eine nicht gar so schlimme Sünde.
Warum man allerdings nicht mehr auf die bisher so erfolgreiche Strategie Wasser plus Atom setzt und den grossen zusätzlichen Energiebedarf nur mit Solar- und Windkraft decken will, kann ich nicht verstehen.
Ich bin überzeugt, immer mehr Leute in der Schweiz teilen diese Meinung. Deswegen meine Forderung: Lasst uns noch einmal über eine neue Energiestrategie diskutieren und abstimmen – in Kenntnis der Konsequenzen unseres Entscheids.
Sehr geehrter Herr Frey
Endlich spricht jemand aus, was Tabu scheint. Sonne scheint nachts nicht. Speichervolumen noch weit weg. Einsprachen gegen Staumauererhöhungen sind plausibel formuliert, passen aber nicht mehr in das veränderte Klima. Jede Staumauer ist versteckter als jedes dominierende Windrad. Was nützen uns bestehende Wanderwege und Pflanzen, wenn das Land zu Kerzen und wieder mehr zu fossiler Energie greifen muss? Eine Staumauer ist nichts schönes, deshalb spielen doch ein paar Meter mehr keine Rolle. Mich erinnert das an: Wer nicht mit der Zeit geht – geht mit der Zeit.