Saporischschja-Propaganda: Punkte für die IAEA und Russland
Die IAEA hat das AKW Saporischschia also tatsächlich besuchen können. Das sind für einmal Goodnews zum Thema.
Die Hauptbotschaft, die IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi (gestern) Freitagabend in Wien verkündet hat, war durchaus positiv, in der Formulierung vielsagend: „Wir möchten die Situation keinesfalls banalisieren… „. Das „Aber“ sprach er nicht aus, aber alle wissen, was er gemeint hat: Die Situation ist nicht so dramatisch, wie von der Kriegspropaganda beider Parteien dargestellt und von den Medien berichtet: Der sichere Betrieb der Anlage ist technisch und personalmässig gewährleistet. Der Krieg bleibt allerdings eine Bedrohung.
Ich erlaube mir, dass Thema hier weiterhin unter dem Aspekt Kommunikation/Propaganda zu betrachten, wie ich das schon in einem früheren Beitrag getan habe.
Für die Ukraine ist der Besuch der IAEA im AKW-Saporoschschje eine empfindliche Niederlage an der Propagandakriegsfront.
Für die IAEA ist die Mission ein grosser PR-Coup – ein sehr willkommener:
Er wird das Ansehen der IAEA als DIE internationale Autorität in Atomfragen stärken, was in dieser Zeit der Renaissance der Atomenergie mit dem Bau zahlreicher neuer AKW weltweit sehr wertvoll sein dürfte.
Nicht zuletzt hat die Aktion auch IAEA-Direktor Rafael Grossi als unerschrockene, internationale Leadfigur der nuklearen Sicherheit positioniert, was nicht nur ihm und der IAEA nützt, sondern ganz im Sinne der globalen Sicherheit ist.
Was die IAEA-Aktion über die PR für die IAEA hinaus für die Situation in der Südukraine bringt, wage ich nicht zu beurteilen. Natürlich teile ich die Hoffnung, dass die Anwesenheit der zwei IAEA-Mitarbeiter, die bis auf weiteres in der Anlage bleiben sollen, es noch unwahrscheinlicher macht, dass es zu einer mutwilligen Zerstörung der Anlage und der Freisetzung von Radioaktivität kommen wird.
Auch für den Aggressor Russland ist die Visite der IAEA ein grosser PR-Erfolg. Russland hat diesen Besuch der IAEA schon seit dem vergangenen Frühsommer angestrengt. Die Ukraine hat sich lange dagegen gewehrt, weil sie diesen Besuch der IAEA eben als Propagandamassnahme ihres Feindes erkannt hat:
- Russlands Besetzung des Geländes wird mit dem Besuch der internationalen (UNO-) Organisation gewissermassen „legitimiert“.
- Die Russen konnten/können der internationalen Gemeinschaft zeigen, dass sie sehr wohl in der Lage sind, die Atomanlage selbst unter Kriegsbedingungen sicher zu betreiben.
- Westliche Journalisten, die entgegen der Aussage des ukrainischen Präsidenten Selenski die IAEA-Mission begleiten durften, berichten, die Bombenschäden auf dem AKW-Gelände seien kleiner, als sie erwartet hätten.
Kein Wunder, hat die Ukraine sich so lange gegen die IAEA-Mission gewehrt und erst ganz zum Schluss — gezwungener Massen, um das Gesicht nicht zu verlieren – gute Miene zu dem für sie sicher schlechten Spiel gemacht. Sie hat aber offensichtlich auch nach ihrer formellen Zusage noch alles in ihre Macht stehende unternommen, um die IAEA von ihrem Vorhaben abzubringen:
Kurz bevor der IAEA-Fahrzeugkonvoi am Donnerstag die von Russland besetzte Zone erreichte, wurde sie vorübergehend von den ukrainischen Streikräftigen gestoppt mit der Begründung, die russische Armee sei daran, die abgemachte Route des Konvois auf dem von russischen Truppen besetzten Gebiet zum AKW zu bombardieren.
Ich bin bei weitem nicht der einzige, der davon ausgeht, dass es die Ukrainer selbst sind, die für diese Bombardements verantwortlich waren; genauso wie es auch die ukrainische Armee ware, welche das AKW-Gelände in den letzten Wochen immer wieder beschossen hat.
Ich weiss, dass darf und will bei uns niemand so deutlich öffentlich sagen, weil man riskiert als Putin-Versteher gebrandmarkt zu werden. Aber diese Einschätzung ist nur logisch – wobei ich mir bewusst bin, dass das mit der Logik im Krieg so eine Sache ist.
Es gibt keine nachvollziehbare Erklärung, warum Russland das AKW Saporischschja bombardieren sollte:
- Russland braucht den Strom aus Saporischschja für die Gebiete, welches es für sich beansprucht ud inzwischen besetzt hält; insbesondere aber für die Krim. Die Ukraine beschuldigt Russland denn auch, es sei daran, Saporischschja aus dem Stromnetz der Ukraine herauszulösen und in ein neues Netz für die russisch besetzten Gebiete in der Ukraine zu überführen.
- Russland hat nicht nur eine unbekannte Anzahl Soldaten auf dem Kraftwerksgelände stationiert, sondern nutzt es auch als Artilleriestellung, aus der regelmässig die Städte Nikopol und Marhanez am gegenüber liegenden Ufer des Dnjepr beschossen werden, welche von den ukrainischen Truppen gehalten werden.
- Die Hauptwindrichtung in der Region des AKW ist südlich bis östlich. Das heisst, bei einer Freisetzung von Radioaktivität aus dem AKW wären diejenigen Gebiet betroffen, welche Russland zurzeit besetzt hält und langfristig beansprucht.
- Und nicht zuletzt: Eine nukleare Katastrophe wäre ein GAU für Russlands Nuklearindustrie und Geostrategie: Die staatliche Firma Rosatom verkauft ihre technisch sehr guten AKW weltweit (u.a Ungarn, Slowakei, Türkei, Indien, Bangladesh, Ägypten).
Diese Politik hat für Russland auch eine grosse geostrategisch Bedeutung. Länder, die russische AKW bauen, geraten in eine Abhängigkeit von Russland – nicht nur technologisch, sondern häufig auch finanziell, weil Rosatom meist auch als Financier dieser Anlagen auftritt.
Eine Katastrophe mit einer Freisetzung von grossen Mengen an Radioaktivität in der Ukraine würde die Reputation der Nukleartechnologie insgesamt schwer schädigen und insbesondere die Marktchance von Rosatom schwer beeinträchtigen.
Das Argument, das ich immer wieder höre, dass Russland das Gelände des AKW bombardiere, um diese Untat den Ukrainern in die Schuhe schieben zu können, halte ich für sehr abenteuerlich.
Dass die Ukraine das AKW aus Propagandagründen punktuell und offenbar sehr „vorsichtig“ beschiesst und auch, dass Kiew bis zuletzt versucht hat, den Besuch der IAEA im AKW-Saporischschja zu verhindern, ist durchaus verständlich:
Die Ukraine tut alles, um zu überleben, um sich gegen die Präsenz des russischen Aggressors zu wehren. Die Ukraine wird den Krieg auf dem Schlachtfeld auf die Länge nicht gewinnen können, vielleicht aber den Propagandakrieg.
Deshalb ist der Besuch der IAEA im AKW Saporischschja eine schwerer Rückschlag für die Ukraine. Präsident Selenskis genervte Reaktion am Donnerstagabend spricht Bände. Seine offensichtlich falsche Behauptung, es seien entgegen den Ablachungen keine westlichen Journalisten vor Ort gewesen, war ein Fehler.
Allerdings bin ich zuversichtlich, dass die cleveren Kommunikationsstrategen in Kiew einen Weg finden werden, die IAEA-Mission als ukrainischen Erfolg zu verkaufen. Die westlichen Medien sind noch so bereit, diese Botschaft zu glauben und zu verbreiten.
Und das ist in der Sache gut so.