Unterwegs zu einer nicht-deutschen Energiepolitik
Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es bei der aktuellen Energiepolitik weltweit eigentlich darum, das Klima zu schützen, weshalb so wenig Kohlendioxid wie möglich in die Luft ausgestossen werden sollte.
Doch in der EU scheint das nicht der Fall zu sein:
Frankreich droht eine Busse von bis zu 500 Millionen Euro, weil es zu wenig Anlagen für erneuerbare Energien installiert hat. 2010 hatte die Regierung Sarkozy sich im Rahmen der massgeblich von Deutschland geprägten EU-Klimapolitik verpflichtet, bis 2020 23% des Stroms in Wind-, Solar oder Wasserkraftwerken zu produzieren. Tatsächlich waren es am Stichtag aber nur 19%.
Nichts manifestiert den Tunnelblick der “deutschen” EU-Klimapolitik mit dem einseitigen Fokus auf die „Erneuerbaren“ besser als diese Busse.
Ein Blick auf die Karte/Grafik der CO2-Emissionen, welche die Länder Europas letztes Jahr mit ihrer Stromproduktion verursacht haben, zeigt die Absurdität dieser Busse. Frankreich ist ein Vorbild in Sachen CO2-Emissionen: Mit 78 Gramm pro Kilowattstunde war Frankreichs Strom sechsmal sauberer als der deutsche Strom (463 Gramm).
Frankreichs strafbares „Vergehen“: Es produziert seinen fast CO2-freien Strom zum überwiegenden Teil in Atomkraftwerken.
Damit wird offensichtlich, dass es bei der von Deutschland diktierten EU-Klimapolitik nicht, wie immer behauptet, um die Dekarbonisierung geht, sondern um die Aufrüstung der wetterabhängigen Erneuerbaren – und den Kampf gegen die Atomenergie.
Wenn es tatsächlich um den Schutz des Klimas gehen würde, müsste Deutschland bestraft werden.
Der Blick auf die CO2-Emissionswerte der letzten Tage offenbart das schonungslos: Die deutsche Stromproduktion verzeichnet zurzeit praktisch jeden Tag neue Dreck-Rekorde. Fast 800 Gramm pro Kilowattstunde wurden registriert. Nur Polen produziert noch minimal dreckiger als Deutschland auf der Basis seines Eneuerbare Energien-Gesetzes (EEG), „das weltweite Vorbild und Instrument für den Klimaschutz“.
In den letzten 30 Tagen hat Deutschland pro Tag durchschnittlich 728 Gramm CO2 pro verbrauchter Kilowattstunde in die Umwelt gepustet; Frankreich gut viermal weniger, 170 Gramm – und dies in einer Zeit, in der fast die Hälfte der französischen AKW noch immer wegen Reparaturmassnahmen still steht.
Das deutsche Problem hat auch negative Auswirkungen auf die CO2-Intensität des Stromverbrauchs in der Schweiz: Zwar stammte praktisch der gesamte Strom, der in den letzten 24 Stunden in der Schweiz selbst produziert wurde, aus Wasser- und Atomkraftwerken und war/ist deshalb nahezu CO2-frei. (Wegen der herrschenden Wetterlage ist der Beitrag von Wind und Solar zurzeit nahe bei null). Das insgesamt trotzdem 260 Gramm CO2 pro verbrauchter Kilowattstunde freigesetzt wurden, liegt daran, dass rund 3.24 Gigawatt Dreckstrom aus Deutschland importiert werden mussten, weil der Stromverbrauch der Schweiz in dieser Jahreszeit grösser ist als die inländische Produktion.
Die CO2-Werte der Stromproduktion Deutschlands sind nicht erst seit dem russischen Krieg in der Ukraine schlecht.
Der Krieg und die damit einhergehende Energiekrise haben den Irrweg der deutsche „Energiewende“ jetzt aber für (fast) alle offensichtlich werden lassen: Sie ist bloss eine Atomausstiegsstrategie. Weil Wind- und Solaranlagen wetterabhängig nur unzuverlässig und unstetig Strom liefern können, ist die „Energiewende“ auf massive fossile Backups, unter anderm Gas, angewiesen. Doch jetzt fehlt ein Grossteil des Gases aus Russland.
Die deutsche Bilanz ist fürchterlich: nach über 20 Jahren und 500 Milliarden Euro Investitionen in 30’000 Wind- und Millionen von Solaranlagen ist der Strompreis in Deutschland auf Rekordnievau und gleichzeitig produziert das selbsternannte Klimavorbildland fast den dreckigsten Strom in Europa.
Um die drohende Strommangellage abzumildern, fährt Deutschland zurzeit bereits stillgelegte, CO2-speiende Kohlekraftwerke wieder hoch, kauft schon fast panisch fossile Energieträger zur Verstromung (u.a. in Senegal oder in Katar), besteht aber stur auf der Schliessung der letzten deutschen AKW, welche seit Jahrzehnten grosse Mengen CO2-freien Strom 24/7 liefern.
Inzwischen kann sich jeder 4. Haushalt in Deutschland die Energie eigentlich nicht mehr leisten und in der deutschen Wirtschaft herrscht Panik. Energieintensive Grossunternehmen wandern ab, die Rede ist gar von einer Deindustrialisierung Deutschlands.
Weil Deutschland aber nach wie vor die Wirtschaftslokomotive Europas ist, droht auch Resteuropa Ungemach. Die Verstimmung in der EU gegenüber Deutschland wächst – nicht zuletzt auch in Frankreich: „Deutschland hat seine energiepolitischen Entscheidungen und industriellen Interessen auf Kosten der Europäischen Union und insbesondere Frankreichs verteidigt,“ schreibt der ehemalige Präsident der französischen Nationalversammlung und Generalsekretär der „Républicains“, Bernard Accoyer in „Atlantico“.
Wirtschaftsnahe Kreise in Frankreich fordern von ihrem Präsidenten jetzt eine energiepolitische Konfrontation mit Deutschland. „Wann hat Emmanuel Macron den Mut, Deutschland offen entgegenzutreten?“
Viel Mut wird Macron gar nicht brauchen, denn tatsächlich wird es in Europa zusehends einsam um Deutschland und dessen Energiepolitik. Es ist bald nur noch Österreich, das die deutsche „Energiewende“ und die entsprechende EU-Klimapolitik mittragen will.
Neben den europäischen Schwergewichten England und Frankreich setzen auch die meisten nord- und osteuropäischen Staaten auf einen Energiemix – inklusive die von Deutschland verteufelte Atomenregie.
Noch immer beherrscht der „deutsche Geist“ mit seinem einseitigen Fokus auf den wetterabhängigen Energien und seiner Tendenz zur Wachstums- und Technologiefeindlichkeit breite Kreise des internationalen Klima-Establishments. Aber nicht nur in der EU wird der Widerstand greifbar. Auch an der jüngsten UNO-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheik hat sich gezeigt, dass die deutsche Energiepolitik international definitiv kein Vorbild (mehr) ist – nicht zuletzt, weil die Welt heute sieht, dass diese „Energiewende“ nicht einmal in ihrem Mutterland Deutschland funktioniert.
Dass sich die Chinesen nicht nach westlichen Vorstellungen richten, wissen wir schon länger.
(Gleichzeitig dürfte die Nur-Erneuerbare-Politik des westlichen Klimaestablishments den Chinesen nur recht sein: China dominiert den Solarmarkt inzwischen praktisch vollständig. China produziert nicht nur den Grossteil der Solarmodule, die weltweit installiert werden, sondern kontrolliert insbesondere den Markt der Rohstoffe, welche für die Fotovoltaik gebraucht werden. Deutschlands Solarzellenproduktion ist zum Beispiel „sage und schreibe zu 95%“ von China abhängig und auch in der Schweiz sieht es nicht viel besser aus.)
Auch die Entwicklungsländer wollen sich dem „westlichen Diktat“ nicht mehr beugen. Empört reagierten sie schon im Vorfeld des Klimagipfels in Ägypten auf die Forderungen der Erneuerbaren-Lobbyisten in westlichen Regierungen, internationalen Organisationen und einem Heer von NGO, den neuen internationalen Fonds zur Finanzierung der Anpassung an die Schäden der Klimaveränderung an die Bedingung zu knüpfen, dass Empfängerländer ausschliesslich erneuerbare Energieträger nutzen dürfen, respektive auf die Nutzung von fossilen Energien verzichten müssten.
Schon vor dem Start der Konferenz hat der Präsident des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas, Nigerias Muhammad Buhari, in einem Op-Ed-Artikel mit dem Titel “How Not to Talk With Africa About Climate Change” in der Washington Post die Verlogenheit der westlichen Politik angeprangert:
„Erzählen Sie Afrika nicht, dass sich die Welt die Klimakosten seiner (Afrikas) Kohlenwasserstoffe nicht leisten kann – während Sie gleichzeitig ihre Kohlekraftwerke wieder hochfahren, weil in Europa die Energie knapp wird.” …
„Sagen Sie den Afrikanern nicht, dass sie ihre eigenen Ressourcen nicht nutzen dürfen. Wenn Afrika alle seine bekannten Erdgasreserven (für sich selbst) nutzen würde, würde sein Anteil an den weltweiten Emissionen von heute nur 3 Prozent auf 3,5 Prozent steigen.“
Dass die europäischen Staaten zurzeit bei den afrikanischen Gasförderländern Schlange stehen, um Gas einzukaufen, verstärke die Ungerechtigkeit gegenüber Afrika weiter, schreibt Buhari, weil damit ja die Gasvorräte Afrikas trotzdem ausgebeutet würden – „nur nicht für die Afrikaner“.
Buhari anerkennt, dass auch Afrikas langfristige Zukunft CO2-frei sein müsse, aber „der derzeitige Energiebedarf kann noch nicht allein durch wetterabhängige Sonnen- und Windenergie gedeckt werden.
Der Kontinent aber brauche jetzt „eine zuverlässige Energiequelle, wenn er Millionen von Menschen aus der Armut befreien und Arbeitsplätze für seine wachsende junge Bevölkerung schaffen will.“
Netto Null (CO2-Emissionen) ist nicht das kurz- oder mittelfristige Ziel Afrikas und der Dritten Welt. Priorität hat die Überwindung der Armut. Die globale Herausforderung ist es, dies zu schaffen, ohne dabei den Planeten zu überhitzen.
Fazit:
Wenn Deutschlands Energiepolitik je ein Vorbild war, so hat es heute ausgedient – in Europa und global. Die Welt sieht mit Schrecken, dass Deutschlands Energiewende mit dem einseitigen Fokus auf die wetterabhängigen Erneuerbaren gescheitert ist – mit gefährlichen kollateralen Schäden weit über Deutschland hinaus.
Den Deutschen wäre zu wünschen, dass sie ihren Ruf nicht weiter ramponieren, indem sie sich noch länger als Saubermann und Schulmeister Europas und der Welt aufspielen.
PS:
Es mag einzelne Länder, wie zum Beispiel die Schweiz, geben, in denen es technisch möglich ist, eine Dekarbonisierung ausschliesslich mit Erneuerbaren zu realisieren. Voraussetzung dazu ist das Privileg, über grosse Mengen an Wasser zu verfügen, welches als Speicher für die wetterabhängigen Energieproduktion aus Wind und Sonne genutzt werden kann.
Ob dies tatsächlich sinnvoll und nachhaltig ist, ist eine andere Frage.