Communication, Corona, Krise, Schweiz

Perspektivenwechsel im „Fall Berset“: Die Verantwortung der Medien in der Krise

(Bild: VSM)

Die Medien bewirtschaften weiter die „Corona-Leaks“ – in allen Richtungen. Bloss nicht in der Richtung, welche für die Schweiz relevant ist: Was Lernen wir daraus für die nächste Krise, die mit Sicherheit kommt – sei es eine Strommangelkrise, eine Migrationskrise, eine neue Pandemie oder … .

Wir brauchen einen Perspektivenwechsel: Die Sicht des obersten Krisenmanagements, die Sicht von Bundesrat Berset (und seines Kommunikationschefs Peter Lauener).

Ich verstehe nicht, warum Alain Berset nicht unmittelbar nach der Publikation der “Enthüllungen” durch die CH-Media der medialen Empörung die Luft abgelassen hat und den Fokus in die relevante Richtung gelenkt hat, indem er etwas im folgenden Sinn gesagt hat:

„Mein Aufgabe war es, die Schweiz mit möglichst geringem Schaden durch diese Krise zu führen. Ich glaube sagen zu dürfen, das ist weitgehend gelungen. Einige mögen jetzt im Nachhinein nicht mit allem, was ich und meine Mitarbeitenden dafür unternommen haben, einverstanden sein. Damit muss und kann ich leben, denn ich weiss: alles, was wir gemacht haben, hat immer dem übergeordneten Ziel gedient: Die Bewältigung der Krise, der Schutz der Bevölkerung.
Sicher haben wir nicht alles richtig gemacht und vielleicht werden bald noch weitere Fehler „enthüllt“ werden. Das muss im Sinne eines Lernens sauber aufgearbeitet werden. Selbstverständlich biete ich Hand dazu und wenn nötig werde ich auch die Verantwortung übernehmen.  Das Ziel und unsere gemeinsame Aufgabe heisst: für eine nächste Krise besser vorbereitet sein.”

Ich weiss, dass in der Bundesverwaltung intensiv an der Aufarbeitung der Coronakrise generell und den Lehren daraus gearbeitet wird. Die NZZ hat kurz vor Weihnachten dazu eine ausgezeichnete „Verlagsbeilage“ mit dem Titel: „Krisenmanagement Schweiz“ veröffentlich. Offenbar denken die zuständigen Gremien des Bundes über die Schaffung eines breit abgestützen und professionellen Krisenstabs nach, wie er ähnlich bis vor einigen Jahren schon existiert hat (und in dem ich langjähriges Mitglied war), der als Basis für die Krisenkommunikation des jeweils (je nach Krisen-„Thema“) federführenden Departements dienen soll.

In der NZZ-Beilage wird die Wichtigkeit der Krisenkommunikation betont und auch die Rolle der Medien angesprochen. Allerdings sind dazu die Aussagen etwas arg wage geblieben und ich möchte hier auf der Basis meiner persönlichen beruflichen Erfahrungen mit und in der staatlichen Krisenkommunikation vertiefend nachhaken – aus der Perspektive der Führung des Krisenmanagements:

Das Krisenmanagment birgt viele Risiken – nicht zuletzt auch für diejenigen, welche die Verantwortung der Führung in der Krise übernehmen, wie die aktuelle „Affäre Berset“ zeigt.
Die Kommunikation ist dabei einer der grossen Risikofaktoren und ganz speziell das Verhalten der „freien“ Medien .

Für die Strategen des Riskomanagements heisst die Herausforderung: Wie gelingt es zu verhindern, dass die Medien allzugrossen Schaden anrichten? Oder positiver: Wie gelingt es, dass die Medien einen Beitrag leisten, die Krise zu bewältigen?

Früher hat man dieses Risiko praktisch ausgeschlossen, indem man die Freiheit der Medien in der Krise beschränkt hat. In autoritär geführten Staaten wird das heute noch so gehandhabt (inkl. die Sozialen Medien).

Noch im zweiten Wekltkrieg kannte auch die Schweiz das Mittel der Zensur. Man nannte es „Pressekontrolle“.
Und ich mag mich noch gut erinnern, wie wir im Nachgang zur Sandoz-Katastrophe in Basel 1986 in der „Informationszentrale des Stabs Bundesrat“ (später ASTT900) darüber diskutierten, ob man im Krisenfall die Privatradios abschalten, respektive auf deren Frequenzen die Infos der SRG übertragen sollte, damit künftig sicherheitsgefährdende Fehlleistungen, wie sie sich ein Basler Lokalsender in der Katastrophennacht von Basel geleistet hatte, ausgeschlossen werden konnten. 
Natürlich war die Überlegung, weil „politisch unmöglich“, schnell vom Tisch, aber sie zeigt das zentrale Bedürfnis der Krisenkommunikation, „mit einer Stimme“ zu reden:

Nichts verunsichert die Bevölkerung in einer Krise mehr als eine uneinheitliche Information oder gar sich widersprechende Infos.
Drastische Lektionen dazu lieferte zum Beispiel die Krisenkommunikation in Japan während der Fukushimakatastrophe 2011:
Während die offiziellen Informationen in den Evakuierungszentren vor Ort den betroffenen Menschen vermittelten, es bestehe aufgrund der niedrigen Strahlendosen weder eine unmittelbare Lebensgefahr, noch seien langfristige Gesundheitsschäden zu befürchten, hörten und sahen die Betroffenen auf ihren elektronischen Geräten gleichzeitig „unabhängige Experten“, welche in den Sendungen der weiterhin uneingeschränkten Medien das Gegenteil behaupteten.
Das Krisenmanagment der Regierung verlor zusehends seine Glaubwürdigkeit und unter dem Druck der medialen „Öffentlichkeit“ wurde das zu evakuierende Gebiet laufend ausgeweitet. Heute wissen wir, dass diese Massnahme kontraproduktiv war und viel mehr geschadet als genützt hat.
 
Je länger eine Krise dauert, desto grösser wird die Gefahr widersprechender, konkurrierender Informationen. In der Corona-Krise haben wir das auch in der Schweiz erlebt: In den ersten Tagen des Lockdown hatten die Medien noch praktisch ausschliesslich die offiziellen Informationen des Krisenstabs von Bundesrat Berset in den häufigen Medienkonferenzen in Bern verbreitet. Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit hatte die alleinige Deutungshoheit der fachlichen Informationen. Man hat ihm sogar einen offensichtlichen Unsinn wie “Masken bringen wenig” geglaubt. Bundesrat Berset und sein Team hatten unbestritten den Informations-“Lead”.

Doch nach Überwindung des ersten Schocks des Lockdowns stieg das Bedürfnis der Medien nach „unabhängigen“ Informationen, welche News generieren sollten, mit denen man sich von den Konkurrenten im Medienmarkt Schweiz unterscheiden und zusätzliche Aufmerksamkeit bekommen konnte.
Und es boten sich auch immer mehr Quellen an, die alternative Informationen lieferten: z.B. Politiker und/oder Parteien, welche zusehends frustriert waren, weil sie in der ausserordentlichen Lage wenig mitzureden hatten; oder „unabhängige“ Experten, welche sich profilieren wollten oder sich, durchaus auch wohlmeinend, zur Kritik bemüssigt fühlten; oder Amtsstellen (u.a. in den Kantonen), welche sich zu wenig in den Entscheidungsprozess des Krisenstabs um BR Berset einbezogen fühlten. 

Die Glaubwürdigkeit der Führung droht im Verlauf jeder Krise zusehends zu erodieren. Nicht zuletzt ist es unvermeidbar, dass das Krisenmanagement im Verlauf der Krise auch Fehler oder Fehleinschätzungen macht (wie z.B. die Maskenfrage). Bei andauernder Krise sind immer mehr  wichtige Figuren im relevanten Führungskreis müde und ausgelaugt. Es entstehen Reibereien und Unstimmigkeiten auch innerhalb des Krisenmanagements, welche an die Öffentlichkeit getragen werden können.

Bei ständig wachsender Kritik und immer mehr Mitsprachebegehren wurde das Management der Krise für Bundesrat Berset und seinen Stab immer schwieriger. Die Bewältigung einer Krise ist aber massiv erschwert, wenn jede Massnahme, welche rasch ergriffen werden sollte, zuerst breit vernehmlasst werden muss. Es besteht zunehmend die Gefahr, dass die Führung nur noch Massnahmen ergreift, von denen sie annimmt, dass sie auf politische und mediale Akzeptanz stossen.

Seit der Bundesrat mit der Aufhebung der “ausserordentliche Lage” im Juni 2020 und dem Übergang zur “besonderen Lage” die Kantone wieder in seine Entscheidungen miteinbeziehen musste, häuften sich die Indiskretionen. Es gab praktisch keinen Bundesratsentscheid zur Coronakrise, welcher nicht schon vorgängig in den Medien diskutiert wurde – die Quelle war damals definitiv nicht Bundesrat Berset oder sein Kommunikationschef Peter Lauener. Die Medien, die es als Adressaten der Indiskretionen ja wissen mussten, „verdächtigten“ die kantonalen Regierungs- und Amtsstellen.

Man darf wohl davon ausgehen, dass Bundesrat Berset ab dem Spätsommer 2020 den „Lead“ in der Kommunikation mit der (medialen) Öffentlichkeit verloren hatte oder zumindest zu verlieren drohte. Und mit Sicherheit hat man sich im Stab von Bundesrat Berset damals Gedanken gemacht, wie man zumindest einen Teil der verlorenen Kommunikationshoheit und damit die Handlungsfähigkeit wiedererlangen könnte.

Wie wir aus den „Enthüllungen” der CH-Medien erfahren haben, begann der regelmässige Austausch („Standleitung“)  zwischen “Bersets Vorzimmer” (Peter Lauener) und “Ringiers Chefetage” (CEO Marc Walder) im November 2020.
Wir wissen, dass das Departement Berset im Januar 2021 wegen den ständigen Indiskretionen Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht hat. 

Heute spekulieren die Medien, dies sei ein Täuschungsmanöver von Berset/Lauener gewesen, um die eigenen Indiskretionen in Richtung Ringiermedien zu verschleiern.
Das halte ich nicht für ausgeschlossen, aber für mich riecht das Ganze nach einer kühnen, riskanten Strategie der Kommunikationsstrategen im Büro Berset: 

Irgendwann im Spätsommer 2020 müssen sie auf die Idee gekommen sein, den Spiess umzudrehen: Da die Indiskretionen offenbar das wichtigste Mittel der Kommunikationsführung und Einflussnahme der Kritiker waren, mussten sie hier den Lead übernehmen und die Indiskretionen zu ihrer eigenen, möglichst exklusiven Waffe machen.
Mit der Strafanzeige konnten die Quellen der fremden Indiskretionen bedroht und die Störmanöver eingeschränkt werden.

Als Vehikel für die Publikation der eigenen Indiskretionen bot sich der „Blick“ an: Er war und ist das wichtigste Boulevardblatt der Schweiz und Bundesrat Berset und Kommunkationschef Lauener pflegten schon länger gute Beziehungen nicht nur zu den Ringier-Bundeshausjournalisten, sondern auch zu Ringier-CEO Marc Walder. 

Wie auch immer das genau lief, Fact ist: Das Büro Berset nutzte den Ringier-Kanal.
Und Ringier liess sich noch so gerne instrumentalisieren. Ob Ringier-Chef Walder die Infos aus Bern an die Chefredaktion des “Blick” weiterleitete oder ob die Ringier-Korrespondenten vor Ort in Bern bei ihren „Recherchen“ parallel zu ihrem Chef auch von Peter Lauener privilegiert informiert wurden, ist unerheblich.

Für das Büro Berset und die Krisenkommunikation des Bundes war das Einvernehmen mit Ringier ein Erfolg und ein wichtiger Faktor für das Mangement und damit für die “Bewältigung” der Krise.

Ob sich Berset/Lauener damals Gedanken darüber gemacht haben, wie politisch heikel oder gar juristisch problematisch insbesondere die Indiskretionen über bevorstehende Bundesratsentscheide waren, weiss ich natürlich nicht. Gut möglich, dass man das Risiko bewusst eingegangen ist, weil man die Chance, damit den für das Krisenmanagement äusserst wichtigen Kommunikationslead wieder zu gewinnen, höher gewichtete als das Risiko, hinterher dafür politisch angegriffen oder gar juristisch belangt zu werden.

Es zeichnet einen starken Führer aus, dass er zur Not auch bereit ist, ein solches Risiko in Kauf zu nehmen. Aufgrund der wenigen Äusserungen Bersets seit den “Enthüllungen” halte ich es sogar für möglich, dass Peter Lauener zum Schutz seines Chefs einen Dreh gefunden hat, welcher Bundesrat Berset jetzt sagen lässt, er haben von den Indiskretionen nicht gewusst.

Jedenfalls bestätigt diese ganze „Affäre“, wie wichtig es für eine erfolgreiche Krisenkommunikation ist, sich im Moment der Krise auf eine starkes Beziehungsnetz nicht zuletzt auch zu den wichtigsten Medienhäusern abstützen zu können; wobei dieses Netz schon lange vor der Krise aufgebaut und gepflegt werden muss.

Ich hoffe sehr, dass alle andern Bundesräte und deren Stäbe, welche jederzeit in die Situation der Führung einer schweren Krise geraten können, über ein ähnlich gutes Beziehunsgnetz verfügen. Denn, was diese „Affäre“ hoffentlich allen deutlich macht, ist die kritische Rolle, welche den Medien in einer Krise zukommt. 

Ich bin dezidiert der Meinung, die Medien müssen zur Bewältigung einer Krise beitragen. Zur Not muss es einen Weg geben, sie dafür in die Verantwortung zu nehmen. Es ist nicht einzusehen, warum so wichtige Institutionen wie der National- und Ständerat oder die Kantone in einer ausserordentlichen oder besonderen Lage Einschränkungen ihrer Kompetenzen und „Freiheiten“ in Kauf nehmen müssen, dies aber von den Medien nicht verlangt werden kann.

Ich befürchte allerdings, die Politik wird es nicht wagen, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche es erlauben, die Medien in einer Krisenlage in die Pflicht zu nehmen und auch ihre „Freiheit“ vorübergend einzuschränken.

Die Haltung des Ringier-CEO Marc Walder während der Corona-Krise könnte aber den Weg zu einer typisch schweizerischen Lösung weisen: Eine entsprechende Beschränkung der journalistischen Freiheit auf freiwlliger Basis: 

Die Chefs der grossen Medienhäuser sollten jetzt rasch einen Pakt schliessen, indem sie sich gegenseitig verpflichten, künftig während ausserordentlichen und besonderen Lagen “die Regierung mit unserer medialen Berichterstattung unterstützen, so dass wir alle gut durch die Krise kommen”. (Zitat Ringier CEO Walder).
Dabei muss selbstverständlich eine kritische Berichterstattung möglich bleiben, aber eben in einem Rahmen, der „keinen Keil zwischen Gesellschaft und Regierung“ treibt. (Zitat Ringier CEO Walder).

Dies wäre nicht nur ein grossartiger Propagandacoup für die Schweizer Medien, sondern vorallem auch ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung kommender Krisen und damit zum Schutz der Schweizer Bevölkerung.


PS:
Dass jetzt sehr rasch eine Lösung für die grassierende Unsitte der Indiskretionen auch auf höchster Regierungsstufe gefunden werden muss, ist selbstverständlich und zwingend. Und dass nach dem Ende einer Krise kritisch Bilanz gezogen werden muss, um die nötigen Lehren für die nächste Krise ziehen zu können und dass dabei rechtlich Verfehlungen auch sanktioniert werden, ist ebenso selbstverständlich. 

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