Zu Helmut Schebens “Lügenpresse”
Gastbeitrag von Adrian Zschokke
Anmerkung Contextlink:
Dies ist die Reaktion meines Freundes und langjährigen Reportage-Kollegen Adrian Zschokke (Bild) als Reaktion auf einen Artikel eines andern ex-Kollegen von SRF, Helmut Scheben, mit dem Titel “So verlor ich meinen Glauben an die etablierten Medien.”
“Ein guter Artikel, ohne Larmoyanz, ohne Schuldzuweisungen. Trotzdem möchte ich einiges entgegnen.
Erstens fällt mir auf, dass viele ähnliche Berichte von Menschen unserer Altersgruppe, sprich von Älteren bis Alten, geschrieben werden. Und das ist schon mein erster Einwand: Wenn ich heute – zum dritten Mal dieses Jahr – lese, dass die Phlegräischen Felder zu explodieren drohen, dann tue ich das mit einem Achselzucken ab. Denn ich habe es in meinem Leben schon mindestens zwanzigmal gelesen. Selbstverständlich ist eine zwanzigjährige Journalistin, die vielleicht einen Besuch der Felder gemacht hat oder sonst zum ersten Mal auf diesen unterirdischen potenziellen Supervulkan stösst, erschüttert und will es der Menschheit nicht vorenthalten… «Es gibt nichts neues unter der Sonne» ist wohl zu Recht einer der bekanntesten Bibelsprüche, er wird mit zunehmenden Alter beinahe zur täglichen Litanei.
Und so verschieben sich auch die wahrgenommenen Fehlleistungen der Presse. Während der 80er Unruhen in Zürich, die ich ich als Kameramann wie auch als Aktivist auf beiden Seiten erlebte, war der Tenor der Demonstranten, dass der «Bürgi» – Presse ohnehin nicht vertraut werden konnte. Darunter fielen sowohl der Tages-Anzeiger wie die NZZ und der Blick. Wer für das Fernsehen arbeitete, oft durchaus mit Sympathien für die Demos, wurde angefeindet, auch wenn man/frau mit den Akteuren versuchte, die Situationen «objektiv» zu begleiten. Es kam zu Anpöbelungen, wobei sich herausstellte, dass die Beiträge des «Scheissfernsehens» von den Pöblern durchaus gierig geschaut wurden, – die Bilder waren einfach zu geil! Jedenfalls entstanden aus diesem oft gerechtfertigten Misstrauen gegenüber der Presse einige neue interessante Organe, wie bspw. die WOZ oder der Fluchtkanal. Und das ist auch heute so.
Daher der zweite Einwand: Schebens Argument, dass alle Artikel gleichgestellt seien, halte ich für kurzsichtig. Dass sein «Gang zum Briefkasten von Langeweile begleitet» ist, ist mE mehr dem Umstand geschuldet, dass wir glauben, uns nach wie vor vorwiegend mit den Presseerzeugnissen des letzten Jahrhunderts zu befassen. Die Coronaskeptiker, die unermüdlich von der Zensur zeterten, unterschlugen, dass gleichzeitig auf dem Internet eine Unzahl von Gegentheorien, widersinnige, oft auch gut fundierte, erschienen, dass immer auch die Weltwoche und ähnliche Gegenstimmen, deren Programm es ist, jedes Schwarz für Weiss zu erklären, und die wie bspw. Fox News durchaus eine grosse Reichweite haben, im Umlauf waren.
Drittens: In allen Kriegen, in den Balkankriegen wie auch jetzt, im Ukrainekrieg, wird selbstverständlich von allen Seiten versucht, die Berichterstattung zu kontrollieren. Mir scheint aber, und ich bin mir bewusst, dass ich subjektiv urteile, anders kann ich nicht, dass es Narrative gibt, bei denen eine andere Sichtweise nur mit viel Selbstüberlistung zu erreichen ist. Wer tatsächlich Putins Darstellung seiner Aggression zu rechtfertigen versucht, muss mE derart viele Gegenargumente unterdrücken, dass das für die allfälligen Horizonterweitung in keiner Relation steht.
Und hier kommt der vierte Einwurf: Nach wie vor sind doch Journalistinnen, die eine kritische, andere Sichtweise propagieren, die „Helden“. Sei geniessen – vielleicht nicht von der Chefredaktion, aber sicher unter den Kollegen-, ein spezielles Renommee. Dass bei den oft gut formulierten Gegenpositionen die Realität im Sinne des kritischen Geistes (leicht) umgedeutet werden muss, ist sicher auch Scheben bekannt. Wie oft habe ich mich mit meinen Mitautoren, mit Journalistinnen gestritten, weil ich deren klare Position als zu simplifizierend empfand. Es war mir aber klar, dass am Ende des Drehs, am Ende eines Schnittprozesses eine Aussage getroffen werden musste, die möglichst konzise war. Dabei geht immer ein Teil der Komplexität verloren.
Wenn sich heute Infosperber, oder auch Michael Shellenberger (ein etwas jüngerer Kollege) in seinem Substack (https://public.substack.com ) als grosse Kämpfer gegen den CIC, den Censorship Industrial Complex inszeniert, so scheint mir das v. a. reisserisch – man muss ja schliesslich Klicks erzeugen, das sind die neuen Finanzierungsmodelle kritischer Presseerzeugnisse. Angesichts insb. der amerikanischen Medienlandschaft, wo noch immer Fox der meistgeschaute Kanal ist, dessen Positionen mit der „kritischen“ Betrachtungsweise Shellenbergers immer öfter deckungsgleich sind, stösst mir dessen Winkelriedpose unangenehm auf.
Und noch eine ungebührliche letzte Entgegnung: Wer die Geschichte des Dritten Reiches behandelt, der kann kaum Hitler erwähnen, ohne dadurch das ultimativ Böse hervorzubeschwören. Die Schweiz hat während dieser Zeit eine starke Zensur ausgeübt, damit die „Fröntler“ nicht gestärkt werden konnten. Ich denke nicht, dass Scheben diese Zensur unangebracht scheint, das dürfte man heute ja nicht einmal denken 😉. Aber könnte es nicht sein, dass es sich im Fall des Putinschen Angriffskrieges ähnlich verhält? Dass der Grossmachtsnostalgiker es nicht wert ist, dass man alle zweifellos begangenen Fehler des «Westens» auflistet, um ihn zu entschuldigen. Le Carre charakterisierte ihn in seinem letzten Interview so:
Putin had always been a fifth-rate spy. Now he is a spy turned autocrat who interprets all life in terms of konspiratsia. Thanks to him and his gang of unredeemed Stalinists, Russia is not going forward to a bright future, but backwards into her dark, delusional past.
Und Le Carre war bekanntlich kein Journalist; er ist deshalb vertrauenswürdig! 😉”