Der Kongo spielt die Klimakarte
Die folgende Geschichte könnte man mit einem resignierten Achselzucken beiseiteschieben: Ein neues Kapitel in der unendlichen Geschichte der Ausbeutung und Korruption eines der rohstoffreichsten Länder der Welt, des Kongo (offiziell Republique Démocratique du Congo; RDC).
Aber hinter dieser inzwischen fast banalen Geschichte verbirgt sich ein hochrelevantes Thema: diejenigen Länder der sogenannten Dritten Welt, welche über Rohstoffe verfügen, die wir zur Bewältigung des Klimawandels dringend benötigen, werden sich zusehends ihrer Macht bewusst.
Diese Geschichte ist nicht zuletzt eine Warnung an die westlichen Industrieländer, welche in der Illusion leben, sie hätten in der Klimapolitik das alleinige Sagen: Länder wie der Kongo sind nicht bereit, auf einkommensschaffende Möglichkeiten zu verzichten, um die Welt vor einem Problem zu schützen, das sie nicht selbst verursacht haben, ohne dafür einen erheblichen Ausgleich zu erhalten.
Sie sind in der Lage, unsere schönen Pläne zur Eindämmung des Klimawandels zu unterstützen oder zu untergraben.
Der Kongo mit seinen reichhaltigen mineralischen Rohstoffen ist ein Schlüsselland der globalen Klimapolitik. Allein seine Kobalt- und Kupferreserven sind für den weltweiten Übergang zur “grünen“ Energie unerlässlich.
Das riesige Land im Zentrum Afrikas, gerne auch „Heart of Darkness“ genannt, verfügt zwar auch über einige Oel- und Gasvorkommen im Atlantik vor der Westküste und ganz im Osten im Raum des Albertsees und des berühmten Virunga-Nationalparks mit seinen Berggorillas. Bisher ging man aber davon aus, dass diese Vorkommen unbedeutend sind. Der Anteil des Kongo am Oel- und Gasbusiness ist denn heute auch marginal.
Doch jetzt plötzlich preist die Regierung in Kinshasa ihr Land als „die neue Destination für Oelinvestitionen“ an und versteigert Lizenzen für die Erschliessung und Ausbeutung von 16 Oelfeldern im ökologisch äusserst wertvollen und fragilen Dschungel des Kongobeckens. Bis zu einer 1 Million Fässer Oel könne dort bald pro Tag gefördert werden, heisst es in der Werbung; mit einem Wert von aktuell 30 Milliarden USDollar pro Jahr.
Nicht nur die Umweltorganisationen protestieren, zurecht, denn der Erhalt des riesige Regenwalds des Kongobeckens ist nicht zuletzt für den Klimawandel von grösster Bedeutung: Er absorbiert gleich viel CO2 wie der ganze Kontinent Afrika jedes Jahr ausstösst. In seinen ausgedehnten Moorgebieten sind gigantische Menge an CO2 gebunden. Ihre Zerstörung würde diese Klimagase freisetzen; einige nennen das eine “Klima-Zeitbombe”. Nicht zuletzt spielt der Regenwald des Kongobeckens eine zentrale Rolle für das Klima in ganz Zentral- und Westafrika.
Aber nicht nur Umweltkreise reiben sich die Augen, auch die seriösen internationalen Rohstoffexperten: Das Kongobecken als neues Oelbonanza? Nicht wirklich!
Ich habe Robert Stewart, einen alten Bekannten aus meiner Zeit der Afrikareportagen für das Fernsehen gebeten, seine Einschätzungen für diesen Blog zu schreiben: „Betrug“ ist das zentrale Wort das er braucht, „anhaltender Betrug“.
Stewart weiss, wovon er spricht: Er hat in den 1990er Jahre für die grösste Engineering Firma der USA, Bechtel Corporation, einen „Masterplan“ zur Erschliessung, Ausbeutung und nachhaltigen Nutzung der zahlreichen und reichhaltigen Rohstoffquellen des Kongo erarbeitet: u.a. in Zusammenarbeit mit der NASA, welche detailreiche Satellitenbilder beigesteuert hat. Der schweizerisch-kanadische Doppelbürger war selbst CEO einer amerikanischen Rohstofffirma, die im Kongo aktiv war, und er war gar der Vorsitzende des “Chambre des Mines”, der Vereinigung der Rohstoffunternehmen im Kongo.
Diese aktuelle Auktion der kongolesischen Regierung, sagt Sewart, reiht sich ein in eine lange Geschichte von Machenschaften von „jahrzehntelangem Betrug und Korruption, die von einheimischen Politikern im Bunde mit kleineren Finanzinstituten, Promotoren und Maklern ausgeheckt wurden, die vom Fett der gescheiterten Geschichte Afrikas leben“.
Stewart ist überzeugt, kein seriöses Bergbauunternehmen werde eines dieser Förderrechte erwerben und kein seriöses Finanzinstitut werde dafür jemandem Geld leihen – selbst wenn es Oelvorräte im Dschungel geben sollte, die es sich lohnt auszubeuten, was Stewart aufgrund seiner umfangreichen Explorationen in den 1990er Jahren bezweifelt:
Die Demokratische Republik Kongo ist so gross wie Kontinentaleuropa und verfügt über praktisch keine Infrastruktur. Alles müsste in sehr schwierigem Gelände neu gebaut werden: Strassen, Flugplätze, Stromleitungen, Pipelines, Raffinerien, Wohnräume für tausende Arbeiter und ihre Familien, Spitäler, Schulen, usw.. Die schwierigen Produktionsbedingungen im Dschungel, lange Transportwege und nicht zuletzt die komplizierte, von Korruption durchsetzte staatlichen Bürokratie würden das Oel aus dem Dschungel nie konkurrenzfähig werden lassen.
Mit Oel- und Gas könne man zwar auch in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels noch lange gute Geschäfte machen, sagt Stewart. Aber dafür gebe es weit bessere Standorte auf der Welt mit enormen, bereits entdeckten Reserven in der Nähe von bestehenden Raffinerien, Transportsystemen und Märkten, die auf Lieferungen warten.
Nicht überraschend haben denn auch grosse Firmen wie Shell, Total oder Eni bereits klar gesagt, dass sie an diesen Konzessionen nicht interessiert sind. Bisher sind erst drei Offerten eingegangen, berichtet die kongolesische Regierung; für drei Gaskonzessionen. Aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich bis zum Ablauf der Auktion im Januar 2023 doch noch Spekulaten finden werden, die die Konzessionen erwerben. Diese werden aber gar nicht daran denken, je Oel zu fördern. Sie spekulieren bloss mit den Konzessionen in der Hoffnung, Dumme zu finden, die ihnen die Förderrechte gewinnbringend abkaufen. Es wäre nicht das erste mal, dass dies geschieht. Und niemand würde sich wundern, wenn diese Spekulanten auch aus Kreisen stammen, die der kongolesischen Regierung nahestehen.
Wie auch immer – es spricht einiges dafür, dass die kongolesische Regierung selbst gar nicht ernsthaft an eine künftiges Oelbonanza im Dschungel glaubt. Die Auktion der Konzessionen ist nicht zuletzt ein Wink mit dem Oelhammer an die internationalen Institutionen und Geldgeber: Noch immer ist nur ein sehr kleiner Teil der Gelder, welche dem Kongo zum Schutz der Welt mehrfach und zuletzt auf dem Klimagipfel in Glasgow 2021 versprochen wurden, ausbezahlt worden.
Die Botschaft heisst:
„Haltet endlich eure Versprechen ein, sonst torpedieren wir eure Klimaziele.“
“Unsere Priorität ist es nicht, den Planeten zu retten“, hat der Klimabeauftragte der kongolesischen Regierung, Tosi Mpanu Mpanu, gegenüber der New York Times klar gemacht. Kongos einziges Ziel bei der Auktion sei es, genügend Einnahmen zu erzielen, um dem angeschlagenen Land bei der Finanzierung von Programmen zur Armutsbekämpfung und zur Förderung des dringend benötigten Wirtschaftswachstums zu helfen.
Mit Blick auf den desaströsen Zustand des Landes nach 60 Jahren Unabhängigkeit, in denen hunderte Milliarden an Rohstoffeinnahmen ins Land geflossen, aber zum überwaltigenden Teil in den tiefen Taschen der regierenden Eliten verschwunden sind, darf man diese Aussage durchaus kritisch zur Kenntnis nehmen. Aber das Argument ist sehr stark:
Die Auktion der Oelfelder im Kongobecken steht für den sich rasch zuspitzenden Nord-Süd-Konflikt in der Klimapolitik, wie die NZZ treffend schreibt. „Afrikanische Länder wollen sich vom industrialisierten Norden, der seinen Reichtum mithilfe fossiler Brennstoffe geschaffen hat, nicht vorschreiben lassen, wie sie ihre Entwicklung zu verfolgen haben. Umso weniger, als der Kontinent weniger als 4 Prozent der globalen CO2-Emissionen verursacht.“ Und auf diesem Argument bestehen zu recht auch die andern Ländern des globalen Südens.
Diese neusten Kongo-Affäre bestätigt einmal mehr, was wir eigentlich schon lange wissen: Der Schlüssel für die Lösung des Problems des Klimawandels liegt im globalen Süden. Ob wir entscheiden, bei uns ein Atomkraftwerk mehr oder eines weniger vom Netz zu nehmen oder ein paar Solarpanels mehr oder weniger in die Landschaft zu stellen, ist irrelevant. Entscheidend ist, ob es dieser Weltgesellschaft gemeinsam gelingt, einen Weg zu finden, der es den armen Ländern erlaubt, weiter kräftig zu wachsen, um einen nachhaltigen Wohlstand ihre ganze Bevölkerung zu gewährleisten, ohne dass der Klimawandel überhand nimmt.
PS:
Je länger ich über die aktuelle Kongo-Affäre nachdenke und schreibe, desto offensichtlicher scheint es mir, dass die Spin-Doktoren dieser Oel-Auktion in Kinshasa ziemlich clever sind:
Schlimmstenfalls werden sie nur ein paar Millionen für eigentlich wertlose Förderrechte einnehmen, welche gar nie in umweltschädigende Projekte im Dschungel umgesetzt werden. Das Geld können sie gut im anstehenden nationalen Wahlkampf 2023 gebrauchen, um die nötigen Stimmen zu kaufen oder gefährliche Gegner ruhig zu stellen.
Bestenfalls fliessen bald mehr Gelder aus den Industrieländern – zum Wohl des Regenwaldes und zum Schutz des globalen Klimas. Dass dabei auch eine hübscher Schnitt für die machthabende Elite abfällt, ist im Kongo selbstverständlich.