Adrian Zschokke, Gastbeitrag, Krieg, Krise

Der ungerechteste Frieden ist immer noch besser als der gerechteste Krieg. (Cicero)

Gastbeitrag von Adrian Zschokke
Bucha, Ukraine, April 2022 (Bild: National Police Ukraine)

Letzthin las ich einen Artikel der russischen Schriftstellerin Alissa Ganijewa: «Die willigen Beihelferinnen im Krieg gegen die Ukraine», in der sie von Telefongesprächen erzählt, die russische Mütter und Ehefrauen mit ihren Soldatenmännern an der Ukrainischen Front führten. Beispielsweise fordern die Frauen ihre Soldatenfreunde und Söhne zur Vergewaltigung der «Scheiss – Ukrainerinnen» auf. Ähnliches war jüngst auch im «Tages Anzeiger» zu lesen.

Als Kameramann in verschiedenen Kriegen, insbesondere in Jugoslawien machte auch ich ähnliche Beobachtungen. Es sind nicht bloss die Soldaten, die, wenn sie sich nicht schon als Rambos lustvoll in den Kampf werfen, oft verrohen in ihren Einsätzen, es sind auch die Angehörigen. Mütter, die ihre verwundeten Söhne im Lazarett aufforderten, schnell gesund zu werden, damit sie «dem Feind das Herz aus der Brust reissen» können. Aber auch orthodoxe Geistliche, wie beispielsweise in Prizren, die ganz alttestamentarisch ihre Schäflein aufstachelten, die Ungläubigen zu zerreissen und zu zerstückeln. Was auf der muslimischen Seite an Hass gepredigt wurde, wird ähnlich oder noch schlimmer geklungen haben, da war ich nicht dabei.

Im Fall der unmittelbar vom Krieg Betroffenen hat das auch damit zu tun, dass ihre guten Freunde, engen Verwandten schlimme Tode erleiden mussten, da sinnt wohl jede/r auf Rache. Es hat aber auch mit der Propaganda zu tun. Und das ist hier mein Thema.

Wenn nun alle Welt, nicht bloss Putinversteher, bei den Russen als Erklärung für die unglaubliche Zustimmung zu ihrem «Führer» und seinem Krieg die Propagandamaschine ins Feld führen, so scheint mir das zu kurz zu greifen.

Am Ende des zweiten Weltkrieges waren in Deutschland beinahe keine Nazis zu finden. Sie alle «wussten nichts» von den Gräueltaten der SA, der Armee und der SS. Damals steckte die Propagandamaschine zwar vergleichsweise in den Kinderschuhen, aber auch die Möglichkeit, sich anders über die Aktualität zu informieren, war viel geringer als heute. Trotzdem hat die Welt wohl zu Recht die Deutschen für das Naziregime verantwortlich gemacht. Eine ganze Generation der nach dem Krieg Geborenen litt unter dem Generalverdacht, Nachkommen von Faschisten zu sein. Und im Kino ist der Deutsche per se als Schweinehund eine noch immer wiederkehrende Figur. Als Indianer oder Schwarzer werden solche Archetypen des Bösen heute längst denunziert, als Deutscher mit stählernem Blick… noch immer lustvoll eingesetzt.

Wer nun sagt, die russischen Soldaten seien alles arme Landburschen, die keine andere Nachrichten kennen, die als «reine Toren» von Putin und seinen Leuten missbraucht würden, infantilisiert diese Soldaten einerseits. Und andererseits verkennt er die ungeheure Verführungskraft des «Bösen». Es ist erregend, wenn man(n) töten, quälen, vergewaltigen darf, ohne bestraft zu werden. Weil man «auf Befehl» handelt. Selbst wenn ich mir bewusst bin, dass auch ich möglicherweise dieser Versuchung nicht widerstehen könnte, so soll mir niemand weismachen, dass einem nicht klar ist, dass dabei Grenzen überschritten werden.

Das stört mich am allermeisten an der jetzigen Situation: Der Krieg wird als Naturkatastrophe dargestellt. Clausewitz’ Satz vom «Nebelhaften des Krieges» (den ich bis zum Erbrechen gelesen und gehört habe) wird zitiert, Sun Zu und Machiavelli sind im Schwange, aber wenn einer sagt, es ist doch simpel: Wenn keiner mehr in die Armee geht, wird es keine Kriege mehr geben, so werden Einstein oder ich und ähnliche Dummköpfe als naiv, weltfremd, was weiss ich, beschimpft.

Aber es tut mir leid, wenn ich noch einmal «Si vis Pacem, para bellum» höre, schreie ich laut los. Denn ich habe den Eindruck, wir könnten heute andere, grössere Probleme lösen, als ein paar Fossilien aus dem Machozoikum hinterherzurennen, weil sie Russia, America, Srbia, Türkiye oder sonst ein verflossenes Imperium wieder gross machen wollen, Diese Trumps, Le Pens, Orbans, etc. können nach wie vor einen grossen Teil der Bevölkerung hinter sich bringen, weil sie angeblich «den kleinen Leuten» zuhören. Das tun sie keineswegs, können aber so daherschwafeln, dass diese sich verstanden fühlen. Es ist eine Art Karneval, wo Kreti und Plethi über die «Oberen» herziehen können, und nach dem lautstarken Gebrüll können die Scharlatane umso ungenierter weiterwursteln.

Vielleicht ist dieser Krieg – wenn er hoffentlich bald zu Ende geht – in seiner Grausamkeit und Sinnlosigkeit eine Chance, über Ethik, Moral, über politische Bildung, über Staatsdienst und Demokratie ernsthaft nachzudenken, ohne dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen müssen.

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